Jetzt wird es sehr persönlich, aber da das ja nun einmal eine sehr persönliche Seite ist und ich mich ob meines nun folgenden coming outs nicht schämen muss, haue ich diesen Artikel einfach mal ungeschönt und in voller Fahrt unter die geneigten Leser.
Nach nun mittlerweile 3 Monaten Pause mit Lukes Meinung, möchte ich gerne einen Einwurf aus der dunkelsten Ecke des Lebens machen und gestehen: Ja, ich bin depressiv!
Per Definitionem a´la Wikipedia:
„Die Depression (von lateinisch deprimere „niederdrücken“) ist eine psychische Störung. Ihre Zeichen sind negative Stimmungen und Gedanken sowie Verlust von Freude, Lustempfinden, Interesse, Antrieb, Selbstwertgefühl, Leistungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen. Diese Symptome treten auch bei gesunden Menschen zeitweise auf. Bei Depressionen sind sie jedoch länger vorhanden, schwerwiegender ausgeprägt und senken deutlich die Lebensqualität.
In der Psychiatrie wird die Depression den affektiven Störungen zugeordnet. Die Diagnose wird nach Symptomen und Verlauf gestellt. Entsprechend dem Verlauf unterscheidet man im gegenwärtig verwendeten Klassifikationssystem ICD 10 die depressive Episode und die wiederholte (rezidivierende) depressive Störung.
Zur Behandlung depressiver Störungen werden nach Abklärung möglicher Ursachen und des Verlaufs der Erkrankung entweder Antidepressiva eingesetzt oder (je nach Schweregrad) auch eine Psychotherapie ohne Medikation (beispielsweise kognitive Verhaltenstherapie).
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff depressiv häufig für eine Verstimmung verwendet. Im medizinischen Sinne ist die Depression jedoch eine ernste, behandlungsbedürftige Störung, die sich der Beeinflussung durch Willenskraft oder Selbstdisziplin des Betroffenen entzieht.„
Als man bei mir im Jahr 2002 die Diagnose „Multiple Sklerose“ erstellte, dachte ich mir einfach: „Hey, trübe Stimmung und depressives Verhalten sind Symptome der MS. Jetzt erklärt sich doch vieles.“
Leider ist dem nicht so einfach habhaft zu werden wie ich dachte.
Schon in frühster Kindheit erinnere ich mich an Tage zurück, an denen ich einfach nur niedergeschlagen und bedrückt war. Auch in der Jugend ging das so weiter. Irgendwann begann dann mein Umfeld mich mit Dingen wie „Stell dich nicht so an, bist doch ein Kerl wie ein Baum!“ oder „Lass dich nicht so hängen, so schlimm kann es doch gar nicht sein!“ zu bedenken.
Je älter ich wurde, desto umfangreicher wurden die Episoden in denen ich mich fast vollkommen aus dem „Leben da draußen“ zurück zog, was stets bei Freunden und Bekannten auf großen Unverstand stieß.
Jetzt, mit 50 Jahren, habe ich meine Erkrankung erkannt und kann dem Dämon, der mich durch mein ganzes Leben hinweg begleitet hat – auch wenn er durch die MS noch verstärkt zuschlagen konnte – einen Namen geben: Depression!
Mit der Depression verhält es sich im großen und ganzen wie mit der MS: Man sieht dem Patienten nicht an, das er krank ist und es gilt auch hier der Leitsatz wenn jemand mit Aussagen wie „Ich kann das gut verstehen!“ kommt, der da lautet „Einen Scheiß kannst du, denn wenn du nicht selbst eine Depression hast, verstehst du nur einen feuchten Luftzug von dem was ich durch mache!“
Ich habe nun 12 Wochen in einer Klinik für Depressionserkrankungen zugebracht, denn die Depression hat nicht nur mein Leben, sondern auch meine langjährige Beziehung auf dem Kerbholz. Wer mit einem Depressionspatienten in einer Beziehung lebt macht die Hölle durch, denn es gibt nichts was man tun kann um dem Partner das Leiden von der Seele zu nehmen – das kann derjenige nur selbst…
…oder besser: Er kann nur selbst lernen wie es ist den „großen schwarzen Hund namens Depression“ gezielt an die Leine zu legen und ihn das machen zu lassen was er will. Hierzu auch direkt ein Buchtipp: „Mein schwarzer Hund: Wie ich meine Depression an die Leine legte von Matthew Johnstone„. Dieses Buch kann ich jedem, der mit Depression zu tun hat, ans Herz legen, denn es erklärt in anschaulichen Bildern, was der Köter so alles mit einem anstellt, wenn er einen erst zwischen den Lefzen hat.
Nach wie vor ist das Thema Depression hierzulande so verpönt, als würde man über etwas reden, bei dem man sich schämen müsste es zu haben. In den USA ist man dort schon viel weiter und es herrscht eine weitaus größere Akzeptanz in der Gesellschaft.
Ich möchte eine Sache betonen: Niemand sollte sich schämen sein coming out im Bezug auf seine Depression zu haben, denn diese unsichtbare Handschelle ist der Grund für vieles was in unserer Gesellschaft emotional falsch läuft.
In den 12 Wochen Klinikaufenthalt habe ich Dinge wie „Achtsamkeit“, „Stresstoleranz“ und den Umgang mit sozialen Kompetenzen erlernt. Ich habe mich mit positiven Dingen wie Fitness, Yoga und Qui Gong angefreundet. Durch umsichtigere Ernährung 18 Kilo Ballast verloren und auch sonst ein vollkommen anderes Weltbild entwickelt. Man mag es nicht glauben, aber es gibt momentan nur wenig, das es schafft meine Ruhe zu verwirren und außer Kraft zu setzen.
Ich habe in der Klinik Menschen kennen gelernt, denen es genau so geht wie mir und unzähligen anderen Depressionisten auf der Welt. Man ist nicht allein mit dem Köter, denn er hat viele Geschwister, welche sich zwar in Form und Größe unterscheiden mögen, aber dennoch ein und denselben Züchter haben.
Warum ich das hier überhaupt schreibe?
Ganz einfach: Bis vor dem Klinikaufenthalt war ich selbst einer der „Stell dich nicht so an, bist doch ein Kerl wie ein Baum!“ oder „Lass dich nicht so hängen, so schlimm kann es doch gar nicht sein!“ Aspiranten, denn es ist nur schwer zu verstehen und zu greifen was bei einer Depression mit einem Menschen geschieht.
Mittlerweile bin ich geläutert und kann ohne Scham mir selbst und meiner Umwelt eingestehen: Ja, ich bin depressiv!
Wäre ich den Weg in die Klinik nicht gegangen, wäre ich nach dem Scheitern meiner Beziehung sicher nicht mehr auf diesem Planeten. Der Aufenthalt dort hat mir jedoch ein wenig Aufwind gegeben, ein wenig heller in die Zukunft zu blicken, welche selbst mit 50 Jahren noch ein unentdecktes Land sein kann.
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